EG – Nummer 5 0 3 - "Geh aus mein Herz"

 

Melodie

Zu diesem Lied sind zwei Melodien bekannt: Einmal die schwungvolle Melodie des Leipziger August Harder im neuen Gesangbuch und die litaneiartigen Melodie von Nikolaus Herman (geb. 1480, notiert 1560), die im alten Beiheft zum Evangelischen Kirchengesangbuch für Niedersachsen bis 1993 ausgewiesen wurde. Im evangelischen Gesangbuch für Rheinland und Westfahlen von 1950 ist dieses Lied mit der Bemerkung "Geistliche Lieder, nicht für den Gemeindegottesdienst" versehen, im heutigen Gesangbuch steht es in der Rubrik "Glaube-Liebe-Hoffnung / Natur und Jahreszeiten". – wie sich die Zeiten ändern. Der Komponist Augustin Harder wurde am 17.7. 1775 in Schönerstedt bei Leisnig (Sachsen) als Sohn eines Lehrers geboren. Gestorben ist er am 22.10. 1813 in Leipzig. Seinen ersten Musikunterricht erhielt Harder bei seinem Vater. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Dresden bezog er die Universität Leipzig. Durch Musikunterricht verschaffte sich Harder zum Teil die Mittel zum Theologiestudium, das er aber schließlich aufgab um sich ganz der Musik zu widmen. Harder lebte als Musiklehrer in Leipzig und war ein beliebter Komponist von volksmäßigen Liedern, besonders für Gitarre. Wir verdanken ihm die Weise zu dem Lied von Paul Gerhardt "Geh aus, mein Herz, und suche Freud".

Paul Gerhardt und "Geh aus mein Herz und suche Freud"
- ein Frühlingslied meiner Kindheit -

Paul Gerhardt wurde 1607 in Gräfenhainichen (Sachsen) geboren, war Hauslehrer in Berlin, 1651 Probst in Mittenwalde (Mark Brandenburg). Dort lebt er unter dürftigsten Verhältnissen: Grundstock seiner eigenen Versorgung bildet die von ihm selbst betriebene Landwirtschaft. Im Jahre 1655 heiratet er. Von den 4 Kindern in 13jähriger Ehe überlebte nur eines. Im Jahre 1657 wurde er Pfarrer an St. Nikolai in Berlin (heute Berlin Mitte, Nikolaiviertel). Dort wurde er 1667 seines Amtes enthoben, weil er im Zusammenhang mit dem Kirchenstreit zwischen Reformierten und Lutheranern als überzeugter Lutheraner dem Toleranzedikt des reformierten Großen Kurfürsten nicht zustimmte. 1669 wurde er Archiediakonus in Lübben (Spreewald); dort starb er 1676 im Alter von 69 Jahren. Er lebte also in der Zeit des 30jährigen Kriegs, der Glaubenskämpfe, der Pest und der Cholera. Das "ö"-Lied "Geh aus mein Herz und suche Freud" erscheint erstmals 1653 in einem Gesangbuch, 5 Jahre nach Ende des 30jährigen Kriegs, der zwei Drittel der deutschen Bevölkerung ausgelöscht hatte.

Pastor Stephan Ringels aus Zwickau schreibt in seiner Liedpredigt von 2004 zu diesem Lied:

"Nicht dass wir denken, Paul Gerhard hätte leicht reden und noch leichter singen, weil seine Zeit offenbar unbeschwert war. Der evangelische Pfarrer schrieb dieses Lied unmittelbar nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Es ist keine naive Weltbetrachtung, wie hier von Nachtigall, Blumen, von Küken und dem Wachsen des Weizens gesprochen wird. Vielmehr wird in der armen, vom Krieg geschundenen, zerschlissenen und verwundeten Erde Gottes mächtig schaffende Güte entdeckt und gepriesen. Geh aus mein Herz und suche Freud ist deshalb ein seelsorgerliches Lied. Es ist, als würde uns dieses Lied bei der Hand nehmen. Wir haben nämlich das Recht, aus unserem Alltag auszuziehen. Wir haben das Recht, auch einmal alles hinter uns zu lassen. Und Paul Gerhard hatte dies wohl auch nötig. Zur Zeit der Dichtung war er als Pfarrer in Mittenwald, südlich von Berlin tätig. Ein Ort, der im Krieg mehrmals besetzt, geplündert, niedergebrannt wurde. Durch all das und durch die Pest war von den Einwohnern nur noch ein Viertel am Leben. Selbst der beste Pfarrer möchte vor dieser Situation flüchten. Die Frage ist, wohin? Gerhard flüchtet nicht einfach in die Natur, in die frische Sommerluft, die den Gestank eines mittelalterlichen Städtchens vergessen macht. Er flüchtet sich zu Gottes Güte. Der Psalmbeter sagt bekanntlich, sie sei besser als Leben. Und er sagt das, weil die Güte Gottes Urgrund allen Lebens ist. So geht Paul Gerhard den Dingen auf den Grund, obwohl er bei der Dichtung seines Liedes sehr viel nach oben in den Himmel geschaut haben muss. An Gottes großem Tun richtet sich Paul Gerhard auf. Und er tut dies nicht, indem er seine Sinne dämpfen läßt, abstumpfen läßt, sondern wieder neu wecken läßt. Was er sieht und spürt und hört und riecht ist eben nicht nur das kleine erbärmliche Leben mit den Folgen eines Krieges, ist nicht nur die alltägliche Last und Mühe, die Bedrängnisse in seiner Familie (seine Frau war schwermütig und depressiv). Die Beobachtung, dass aus der Erde das Leben hervorquillt, stärkt seine Sinne für Gott. Das gibt ihm Kraft. Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinne. Geh aus mein Herz...wo geschieht das? Haben wir dafür nicht ganz einfache und simple und doch so wirkungsvolle Möglichkeiten? Ganz wichtig ist die regelmäßige Unterbrechung: der Lebensrhythmus, den schon Gott benötigte, wenn er sechs Tage an dieser Erde arbeitete, aber am siebten Tage ausruhte. Rhythmus kann vorgegeben sein, durch den Sonntag und den Gottesdienst, durch Andachten und Gebet. Selbst die Krankheit kann in unserem Herzen unterbrochen werden, indem wir nicht ständig in uns hineinhorchen und betrachen, befühlen, sondern damit eine Pause machen...und Gott suchen. Manchmal können wir das nicht mehr selber, dann brauchen wir andere, die klingeln, die uns anrufen, uns erinnern, da war doch mehr als mein eigenes Leben. Oder es geschieht durch ein Lied: Das Lied ist ein seelsorgerliches Lied. Es läßt uns ausziehen, wie ein Exodus aus mancher Gefangenschaft unseres Lebens. Und es schärft die Sinne für noch mehr. Unsere Sehnsucht, unsere Flucht aus dem Leben ist immer auch Hinweis auf unsere Sehnsucht nach der Ewigkeit...Natürlich besteht gerade für Christen die Gefahr, dass das dann tatsächlich nur eine Flucht ist...Und die Erwartung des ewigen Lebens diese Erde nur noch zu einer betrüblichen Durchgangsstation werden läßt, das Leben hier nur noch zu einem bitteren Wohl oder Übel werden läßt. Diese Gefahr bestand bei Paul Gerhard nicht, dafür hat er sich viel zu lange und mit viel zu vielen Strophen an der Schönheit dieser Welt und des Lebens aufgehalten. Und dafür hat er in Mittenwald und später in Berlin und Lübben viel zu intensiv auf dieser Erde gelebt, gearbeitet, gedient und sie auch genossen. Doch der Blick zu Gott schärft seine Sinne für das Ewige. Über unserem Leben liegt eine Verheißung. Die mag uns manchmal wenig berühren. Sie berührt uns stärker, wo wir den Grenzfall erleben. Und damit meine ich nicht nur den Tod, als den Grenzfall aller Grenzfälle, sondern auch alle anderen Situationen, wo wir unsere Grenzen spüren und wahrnehmen. Paul Gerhard hat davon sicher genug erfahren. Erst mit 48 Jahren war endlich sein Auskommen gesichert. Die Heirat mit Anna-Maria-Berthold war möglich. Fünf Kinder hat sie geboren, von denen vier schon in den ersten Monaten starben. Es fehlte an allem. Später sollte Gerhard auf Geheiß seines Landesfürsten den lutherischen Glauben aufgeben. Er wurde des Amtes enthoben. Ein Diener Gottes hat auch das Recht, sich nach der Ewigkeit zu sehnen. Bestechend, wie Paul Gerhard sein Himmelsbild von Gottes Schöpfung ableitet. Kein Gegeneinander, kein Konkurrenzdenken zwischen Himmel und Erde, einfach nur der Glaube, dass alles Zeitliche, was so schön ist, eingehüllt ist in das Ewige. Man könnte verweilen in diesen Gedanken, träumen, sich ausbreiten, sich einrichten...schmunzelnd zurücklehnen, die Augen schließen und alles vergessen. Diesem "Geh aus mein Herz und suche Freud", dem Exodus aus dem Alltag, dem Weg der Sehnsucht nach, selbst der Flucht zu Gott, folgt nun der Rückweg, die Heimreise. Den Ort unseres Lebens können wir nicht abschütteln. Wir können ihn nicht eintauschen."